In Lohmar-Heide bei Siegburg wird zurzeit (2008) ein Gebäude in ein Mehrfamilien-Wohnhaus
umgebaut, dessen Geschichte den zukünftigen Mietern kaum bekannt sein dürfte.
Paul Schäfer, 1921 in Troisdorf geboren und nach dem Krieg Jugendpfleger der evangelischen
Kirche, wurde 1949/50 entlassen, nachdem Vorwürfe wegen Kindesmissbrauchs laut wurden,
ein Prozess fand aber nicht statt. Schäfer zog als Prediger durchs Land. In Lohmar-Heide
bei Siegburg entstand 1958 das Gemeinschaftshaus und ein sogenanntes Jugendheim
der von Schäfer gegründeten Sekte, der "Privaten Socialen Mission". Hinter den Mauern
des angeblichen Waisenhauses begann eine Schreckensherrschaft. Die Sektenmitglieder
mussten Schäfer intimste Details beichten, ihre familiären Bindungen aufgeben und
wurden auch finanziell ausgebeutet. Das Haus in Heide wurde u.a. mit Hunden bewacht,
um eine Flucht zu verhindern. 1961 wurde ein Haftbefehl gegen Schäfer wegen Kindesmissbrauchs
erlassen, von dem er aber informiert wurde. Er und über 200 Mitglieder der Sekte
verließen Deutschland in Richtung Chile, bevor der Haftbefehl vollstreckt werden
konnte. Den Eltern einiger Kinder wurde ein Chorfahrt vorgespielt. Die "Private
Sociale Mission" konnte bis 1989 in Siegburg über ihre Läden Geld einnehmen und
nach Chile transferieren, soll aber auch im Waffenhandel aktiv gewesen sein. Als
Verein wurde sie erst 1995 abgemeldet.
In Chile gründete Schäfer die Colonia Dignidad ("Würde"), in der die Sektenmitglieder
weiterhin ausgenutzt, misshandelt und missbraucht wurden. Auch Kinder der chilenischen
Bauern der Umgebung wurden entführt, zwangsadoptiert und missbraucht. Durch Fürsprecher
in der deutschen wie der chilenischen Politik konnte sich Schäfer aber lange der
Verfolgung widersetzen. Nach dem Pinochet-Putsch 1973 diente die Colonoia Dignidad
auch dem chilenischen Geheimdienst als Folterzentrum für Regimegegner, von denen
in der Colonia auch viele ermordet wurden. Erst mit dem Ende der Diktatur bröckelte
die Fassade, insbesondere nachdem auch in Chile mehrere Anzeigen wegen sexuellen
Missbrauchs von Kindern erstattet worden waren. Schäfer gelang wiederums die Flucht,
dieses Mal nach Argentinien. Acht Jahre später wurde er 2005 in Buenos Aires verhaftet
und nach Chile ausgeliefert, wo er 2006 dann zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt wurde; 2010
starb er mit 88 Jahren im Gefängnishospital.
Die Rolle der Colonia Dignidad zwischen chilenischem Militär, deutschen und chilenischen
Politikern und Geheimdiensten, Waffenhändlern und als Zufluchtstätte alter Nazis
und rechter Terroristen ist bis heute ungeklärt. 2016 lief der Film "Colonia Dignidad"
mit Emma Thompson im Kino an, der die Zusammenarbeit mit dem chilenischen Geheimdienst
thematisiert.
Das Gebäude in Heide konnte die Sekte für 900.000 DM an die Bundeswehr verkaufen,
die hier 1961-69 eine Kompanie des Wachbataillons der Bundeswehr einquartierte. 1973
wurde hier die Dienststelle "Generalarzt der Luftwaffe" aufgestellt, die Anfang
2002 wieder aufgelöst wurde (und die 2004 in der Brückberg-Kaserne in Siegburg wieder
aufgestellt wurde). Die Dienststelle in Heide war immer recht klein, auf dem 12.943
m² großen Gelände befanden sich neben dem Hauptgebäude nur noch ein Wachhäuschen,
Garagen, ein Wäldchen und mehrere Tennisplätze. Die "offiziellen" Unterkünfte der
hier tätigen Wehrdienstleistenden lagen auf der Hardthöhe in Bonn, tatsächlich
waren sie sog. Heimschläfer.
Wieder verkauft wurde das Gelände für 1 Mio. Euro an ein Siegburger Bauunternehmen.
Nach einigen Jahren Leerstand und einem Brand im Sommer 2007 werden hier seit 2007
Mietwohnungen eingerichtet, auch das Äußere des Baus wird umgestaltet, so dass von
seiner Vergangenheit bald kaum noch etwas zu erkennen sein wird. Außerdem werden
sechs Doppelhaushälften auf dem Gelände errichtet.
Der Umbau hat begonnen |
Brandschaden rechts im Bild |
Planung |